Präsident der ivorischen Wahrheits- und Versöhnungskommission, Charles Konan Banny, mit UN-Vertreter

Côte d’Ivoire’s Wahrheits- und Versöhnungskommission

Es ist viel geschrieben worden über die (recht einseitige) juristische Aufarbeitung des Konflikts in der Côte d’Ivoire durch den Internationlen Strafgerichtshof (IStGh) und die ivoirischen Gerichte. Eher weniger ist dagegen über die Arbeit der Wahrheits- und Versöhungskommission bekannt, die von Präsident Ouattara im Juli 2011 ins Leben gerufen wurde und von dem ehemaligen Premierminister Charles Konan Banny geleitet wird. Was macht diese Kommission eigentlich? Braucht es die überhaupt?

Wozu eine Wahrheits- und Versöhungskommission?

Allgemein betrachtet sind Wahrheits- und Versöhnungskommissionen zeitlich begrenzt arbeitende Einrichtungen, die in der Vergangenheit begangene Menschenrechtsverletzungen in einem bestimmten Land untersuchen. Ihr Fokus liegt nicht, wie bei einer juristischen Aufarbeitung, auf der Bestrafung der Täter. Viel mehr geht es darum, die Opfer zu Wort kommen zu lassen, einen gesellschaftlichen Dialog anzustoßen und eine gemeinsame, auf Fakten basierende Wahrnehmung der Vergangenheit zu etablieren, um von dieser Basis aus an einer gemeinsamen, friedlicheren Zukunft arbeiten zu können.

Die ersten Wahrheits- und Versöhnungskommissionen gab es bereits seit den 1970er Jahren, in Mode kamen sie aber insbesondere ab den 1990er Jahren, nachdem die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der Apartheid leistete. Die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission wird seitdem immer wieder als Erfolgsmodell hochgehalten, und nach fast allen Konflikten in Afrika werden nun solche Kommissionen eingesetzt, mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Hat die Côte d’Ivoire so etwas nötig?

Der Bürgerkrieg in der Côte d’Ivoire dauerte mit wenigen Unterbrechungen ein knappes Jahrzehnt, von 2002 bis 2011. Auch nach dem Friedensabkommen von Ouagadougou im Jahr 2007 blieb das Land faktisch geteilt. Die Präsidentschaftswahlen 2010 und die Weigerung des amtsinhabenden Präsidenten Laurent Gbagbo, seine Wahlniederlage einzugestehen, lies den bewaffneten Konflikt erneut aufflammen.

Der Konflikt war von Anfang an geprägt durch die Theorie der “Ivorité”, ein nationalistisches Konzept, welches Einwanderern, insbesonderen den vielen Burkinabé, die auf den Kakaoplantagen im Westen des Landes arbeiteten, die ivorische Staatsbürgerschaft absprach. Xenophobie und Übergriffe aufgrund ethnischer, religiöser und politischer Zugehörigkeit waren an der Tagesordnung. Der Konflikt hat dadurch ein tief gespaltenes Land hinterlassen, in denen Religion oder Ethnie mit bestimmten der Unterstützung bestimmter politischer Parteien gleichgestellt werden und wo die eigene Gruppe immer als Opfer, die andere Gruppe als Täter wahrgenommen wird. Amnesty International und Human Rights Watch dokumentierten mehrmals ausführlich, wie brutal die bewaffnete Kräfte gegen Angehörige der jeweils “anderen” Gruppe vorgingen.

Auch heute, nach Ende des bewaffneten Konflikts und unter der neuen Regierung von Allasanne Ouattaras, halten die Animositäten, Misstrauen und Vorurteile an. Nach mehreren Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte im Sommer 2012 kam es zu Vergeltungsmaßnahmen von Angehörigen der neuen Sicherheitskräfte (FRCI) an mutmaßlichen Anhänger Gbagbos, die sie für die Angriffe verantwortlich machten.

Eine juristische Aufarbeitung der (Menschenrechts-)Verbrechen kann ihren Teil zur Gerechtigkeit beitragen, Täter zur Verantwortung ziehen und somit Übergriffe von einer Gruppe auf die andere eventuell sogar eindämmen. Doch um die Vorurteile und die feindselige Einstellung abzubauen und somit ein friedliches Zusammenleben in einem Land wieder möglich zu machen, muss ein tieferer und breiterer gesellschaftlicher Dialog stattfinden.  Die Wahrheits- und Versöhnungskommission könnte eine Plattform für einen solchen Dialog sein.

Die Realität der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Côte d’Ivoire

Aber kann die eingesetzte Wahrheits- und Versöhnungskommission in Côte d’Ivoire das tatsächlich leisten? Um tatsächlich wirksam einen inklusiven, breiten gesellschaftlichen Dialog anstoßen zu können benötigt sie ein klares Mandat und ausreichend Ressourcen. Doch nichts davon ist gegeben: Der Auftrag der Kommission ist nur schwammig formuliert, es ist weder klar welche Ereignisse genau betrachtet werden sollen, noch in welchem Zeithorizont die Kommission arbeiten soll. Sie soll einen Bericht mit Empfehlungen erarbeiten, aber der Bericht soll lediglich beim Präsidenten eingereicht werden; eine Veröffentlichung der Ergebnisse ist fraglich, und die Empfehlungen nicht verbindlich. Die Zusammenarbeit der Kommission mit anderen staatlichen Einrichtungen, die die Vergangenheit beispielsweise juristisch aufarbeiten, ist ungeklärt. Zudem stellt die Regierung nur wenige Mittel bereit, die Kommission ist abhängig von externen Geldgebern.

All dies führt dazu, dass die Kommission seit ihrem Bestehen mehr mit ihrer Selbstfindung beschäftigt ist, als tatsächlich mit ihrer Arbeit zu beginnen. Ausser einigen symbolischen Gesten hat die Wahrheits- und Versöhnungskommission in ihrem fast zweijährigen Bestehen noch nichts erreicht.

Das zeigt, dass die Arbeit der Kommission keine politische Priorität der Regierung Ouattara ist. Es ist zu befürchten, dass die Kommission nur deshalb von Ouattara ins Leben gerufen wurde, weil man solche eine Kommission nach Bürgerkriegen nun mal hat, das ist in Mode, da kommt man nicht darum herum. Die tatsächliche Bedeutung einer Aufarbeitung der Vergangenheit scheint der Regierung Ouattara nicht bewusst zu sein.

Die schleppende juristische Aufarbeitung mag ihre politischen Gründe haben, es ist durchaus möglich dass es für Ouattara schwer ist, Personen aus seinen eigenen Reihen vor Gericht zu bringen, weil er auf ihre Unterstützung angewiesen ist, um an der Macht bleiben. Bei der Wahrheits- und Versöhnungskommission treffen solche politischen Gründe nicht zu. Hier wird klar, wie wenig Gedanken sich die Regierung um die bestehenden Spannungen im Land macht. Ihrer Maxime nach ist die Wiederbelebung der Wirtschaft die Priorität Nummer 1, Wirtschaftswachstum scheint für die Regierung die Lösung aller Probleme zu sein. Dies ist kurzsichtig. Will die Regierung das Land wirklich aus dem Kreislauf von Bürgerkrieg und Gewalt befreien, kann dies nicht ohne eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Vergangenheit geschehen. Ohne diese ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Land erneut in Gewalt versinkt.