
Afrikanische Staatsoberhäupter wählen Straflosigkeit
In einem Beschluss Ende Juni stimmten die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union dafür, amtierenden Staatsoberhäuptern und anderen hohen Regierungsbeamten Immunität vor Strafverfolgung für Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem geplanten African Court on Justice and Human Rights (ACJHR) zuzusichern.
Der ACJHR soll den bereits bestehenden African Court on Human and Peoples‘ Rights ersetzen und dessen Kompetenzen um die Verfolgung von internationalen Verbrechen erweitern. Der jetzige Beschluss der AU macht das neue Gericht jedoch bereits schon vor seiner Einrichtung zu einem zahnlosen Papiertiger. Dabei ist er nur ein weiterer Schritt von vielen, mit denen die afrikanischen Staats- und Regierungschefs seit Jahren versuchen, die internationale Strafgerichtsbarkeit zu untergraben. Bereits 2006, nachdem internationale Haftbefehle gegen mehrere ruandische Regierungsbeamte ausgestellt wurden, begann sich der Unmut der afrikanischen Regierungen zu regen. Ende 2013 lobbyierten sie auf internationalem Parkett dafür, das Rom-Statut dahingehend zu ändern, dass aktive Staatsoberhäupter nicht vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) verfolgt werden können.
Bereits die Einrichtung des ACJHR an sich kann als Versuch gewertet werden, dem IStGH afrikanische Fälle aus der Hand zu nehmen und lieber selbst, nach Gutdünken der Afrikanischen Union, zu bearbeiten. Denn laut dem Rom-Statut wird der IStGH erst für ein Verbrechen zuständig, wenn keine nationale oder regionale Instanz in der Lage oder Willens ist, einen Prozess einzuleiten. Der Beschluss, amtierende Regierungsmitglieder von der Jurisdiktion des neuen Gerichts auszunehmen, ist dann nur der nächste logische Schritt.
Straflosigkeit für Staatsoberhäupter fördert Siegerjustiz und stärkt das Streben nach Machterhalt
Diese Entwicklung ist aus mehreren Gründen besorgniserregend. Bereits jetzt ist der der IStGH auf die Kooperation mit den Regierungen angewiesen. Dass der IStGH beispielsweise im Falle von Côte d’Ivoire bisher ausschließlich Anhänger des ehemaligen Präsidenten Laurent Gbagbo strafrechtlich verfolgt, rechtfertigt die Anklage mit der Notwendigkeit, sich der Unterstützung der aktuellen Regierung zu versichern. Erst danach könne und wolle man die Untersuchung der Verbrechen der heutigen Regierung angehen. Bei der Bevölkerung hinterlässt dies jedoch eher den Eindruck einer einseitigen und parteiischen Verfolgung der Verliererseite, einer Siegerjustiz, in der die jetzige Regierung straffrei bleibt. Immerhin bleibt die Hoffnung bestehen, dass der IStGH irgendwann auch Mitglieder der Regierung anklagt, auch wenn sie damit eine weitere Kooperation in Frage stellen und wenig Chancen auf eine Auslieferung der Angeklagten hat.
Der Beschluss für Immunität für Regierungsmitglieder vor dem neuen afrikanischen Gericht institutionalisiert diese Siegerjustiz. Außerdem macht er den Machtkampf zwischen verschiedenen politischen Strömungen in den afrikanischen Ländern noch existentieller. Denn nur, wer die Wahl oder den bewaffneten Kampf gewinnt, kann sich vor Strafverfolgung sicher sein. Umgekehrt heißt das, egal welche Mittel man einsetzt und welche Verbrechen man begeht, solange man die Macht an sich reißt, hat man nichts zu befürchten. Ein gutes Beispiel ist hier Kenya: Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vizepräsident William Ruto, gegen die Fälle beim IStGH laufen, warben in ihrem Wahlkampf explizit damit, dass, wenn sie an der Macht seien, sie der Gerichtsbarkeit des IStGH entgehen könnten. Geschickt wurde dies als Frage der nationalen Souveränität kommuniziert. Und natürlich fördert der Beschluss auch das Bestreben, sich möglichst lange an der Macht zu halten, um eine Strafverfolgung zu vermeiden. Dies sind keine besonders guten Aussichten für die afrikanische Demokratie.
Besorgniserregend ist auch, dass es auf dem ganzen Kontinent keinen Widerspruch gegen die Aushöhlung der internationalen Strafjustiz gibt. Nicht einmal das sonst so liberale Südafrika, das sich in den letzten Jahren für den IStGH stark gemacht hat, sprach sich gegen den jetzigen Beschluss aus. Lediglich Botswana brachte Einwände vor. Ein schlechtes Zeichen für all die Opfer, die auf Gerechtigkeit hoffen.
Ein Rückschritt oder ein Signal, dass der IStGH Wirkung zeigt?
Auf der anderen Seite könnte man auch durchaus argumentieren, dass die Versuche der afrikanischen Staatsoberhäupter, sich vor Strafverfolgung zu schützen, eine direkte Folge des Erfolgs des IStGH ist. Die Anklagen gegen Kenyatta, Ruto, Gbagbo sowie den sudanesischen Präsidenten Al Bashir lassen unter Afrikas Mächtigen die Angst umgehen. Plötzlich fühlt man sich überwacht, kann sich nicht mehr sicher sein, mit allem durchzukommen. Um so wichtiger ist es jetzt, im Angesicht des Widerstands der afrikanischen Machtelite, den Druck durch die internationale Gemeinschaft und die lokale Zivilgesellschaft zur Abschaffung der Straflosigkeit aufrecht zu erhalten.
Insbesondere sollte der IStGH mehr Mut bei der Auswahl seiner Fälle beweisen, denn die Beschränkung auf afrikanische Angeklagte ist eines der wirksamsten Argumente gegen den Den Haager Gerichtshof in der afrikanischen Öffentlichkeit. Gleiches gilt für die wahrgenommene Parteilichkeit des Strafgerichtshofs: eine konsequente Verfolgung aller Seiten in einem Konflikt würde den IStGH langfristig eher stärken als schwächen. Und ein starker, international anerkannter IStGH ist das wirkungsvollste Mittel, um ein Zeichen gegen Straflosigkeit zu setzen.